To baby or not to baby?
In Duncan Macmillans Stück Atmen stellt ein (heterosexuelles) Paar sich die Frage, ob es ein Kind bekommen soll oder nicht. Seit der Uraufführung des Stücks im Jahr 2011 ist es für eine grosse Zahl junger Menschen in zentraleuropäischen privilegierten Gesellschaften nicht einfacher geworden, diese tief moralische Frage zu beantworten. Vor dem Hintergrund der Klimakrise und der politischen Weltlage sorgt die Diskussion ums Kinderkriegen nach wie vor – und vielleicht mehr denn je – für Kopfzerbrechen.
Die Antworten auf die Frage bewegen sich innerhalb eines weiten Spektrums, gerahmt von zwei Haltungen: Kinderkriegen ist unökologisch und eine Belastung für die Welt. Ausserdem wollen wir den Kindern die Welt so, wie sie ist, nicht zumuten. Und: Wer soll die Welt denn verbessern, wenn nicht die nächste Generation, die wir zu verantwortungsvollen Bürger:innen erziehen? Kinderkriegen ist nämlich auch Arbeit an der Gesellschaft. Das Problem: Beide Antworten haben ihre Berechtigung. Und schon befinden wir uns mitten in einem Dilemma. Ein Dilemma, das auch dieser Text nicht lösen wird. Wir können aber versuchen, das Hauptproblem aus einer anderen Richtung zu betrachten. Die Menschheit (und einige wenige privilegierte Menschen im Besonderen) verbrauchen mehr Ressourcen, als die Erde hergibt. Dabei vergessen wir aber: Die Ressourcen verbrauchenden Menschen sind gleichzeitig selbst Ressource, Quelle von Wissen, Fähigkeit und Potenzial – eben zur Veränderung. Anstatt also auf das radikale Szenario eines Fortpflanzungsstopps zu setzen, der die Erde rettet, könnten wir uns fragen: Wie kann die Ressource Mensch nachhaltiger produziert werden? Oder weniger polemisch formuliert: Wie können wir es besser machen mit dem Kindermachen?
Foto: Urs Homberger
Eine Option läge darin, das Kleinfamilienmodell stärker zu hinterfragen, als es in den vergangenen Jahren bereits passiert ist. Denn trotz der so genannten sexuellen Revolution in den 70ern und der gesellschaftsverändernden Kräfte seit den 68ern haben wir die Art und Weise, wie wir unser Leben organisieren, nicht revolutioniert. Mit dem Rückgang der unter einem Dach lebenden Grossfamilien ist die heteronormative Kleinfamilie nach wie vor konkurrenzlos fester Bestandteil der Gesellschaft. Bereits Aristoteles wusste: Zwischen gesellschaftlichen Lebensformen und den Formen der politischen Herrschaft gibt es eine direkte Verbindung. Kein Wunder also, dass wir den patriarchalen Kapitalismus nicht abgeschüttelt kriegen, der uns überhaupt erst in diese Situation gebracht hat. Welche alternativen Lebensentwürfe gäbe es, die eine neue, nachhaltigere gesellschaftliche Ordnung in die Wege leiten können? Wie können überforderte Eltern im Spagat zwischen Beruf und Familie entlastet werden, kinderlose Menschen selbstverständlicher an Erziehung partizipieren und Kinder in solidarisch erweiterten sozialen und persönlichen Strukturen aufwachsen?
Foto: Urs Homberger
Natürlich wurden bereits viele Lebensentwürfe erdacht und gelebt, die über die Kernfamilie hinausgehen. Welche Rolle spielen zum Beispiel Freund: innen? Es ist keine Ausnahme mehr, dass nicht nur Partner:innen, sondern auch Freund:innen in die Diskussion ums Kinderkriegen eingebunden werden. Trotzdem begegnet man gerade in dem heutigen politischen Klima von der «Norm» abweichenden Familienentwürfen wieder häufiger mit Skepsis. Dabei ist eine Familie im besten Fall nichts anderes als eine stabile Konstellation, welche den Mitgliedern guttut. Wie diese Konstellation sich zusammenstellt, könnte eigentlich zweitrangig sein. Sie müsste nicht einmal Familie heissen. Der Wunsch, das Leben mit Kindern verbringen zu wollen, könnte genügen, um Teil einer sozialen Konstellation zu sein, in der Kinder aufgezogen werden. Und wenn wir ehrlich sind, ist es doch jetzt schon eine Illusion, dass Kinder ausschliesslich von Mutter und Vater aufgezogen werden. Vielleicht sind wir also schon weiter, als wir meinen.